Veröffentlicht in der TAZ Print-Ausgabe / Kultur am Donnerstag 08.Juni 2017
Mehr als „Artvertisement“ oder die banale Aufhübschung eines Viertels.
Lange schon ist es um die einstige Street-Art-Metropole Berlin still geworden – und das, obwohl über die ganze Stadt verteilt immer mehr legale Murals zu entdecken sind.Allerdings waren es in den vergangenen Jahren vor allem schrille Werbegraffiti – oder vielleicht besser gesagt – „Artvertorials“ im Auftrag multinationaler Konzerne, die mit coolen Slogans und einem alternativen Look vor allem eine Intention hatten: einer hippen Zielgruppe zukünftige Konsumentscheidungen vom Kopfhörer über das nächste Bierchen bis hin zum zukünftigen Mittelklassewagen zu erleichtern.
Und falls man doch einmal das Glück hat, auf eine werbefreie Gestaltung zu stoßen, verbirgt sich dahinter oftmals das als gemeinnützig angepriesene Ziel, eine Schmuddelecke für finanziell solide junge Großstädter attraktiv zu machen, so wie es gerade im Westberliner Stadtteil Schöneberg passiert. Die einst für die subkulturelle Avantgarde und den kreativen Widerstand gefeierte Kulturmetropole Berlin hat sich zum kreativen Spielfeld der Werbeindustrie und der Immobilienspekulanten gewandelt.
Doch seit wenigen Tagen wird das Stadtbild endlich wieder durch ein großformatiges künstlerisches Statement bereichert, das in Schöneberg, in der Ecke hinter dem LSD-Haus, zur gesellschaftlichen Solidarität gegen Populismus aufruft.
Das über 20 Meter hohe Mural wurde von einem der international wichtigsten Akteure der Street-Art-Bewegung – Shepard Fairey aka Obey Giant – realisiert und trägt den Titel „NO Future“. Der Künstler und Politaktivist, dessen subkulturelle Wurzeln im Punkrock liegen, bezieht sich damit auf das Lied „No Future“ der Sex Pistols, das öffentlich unter dem Titel „God Save The Queen“ bekannt wurde. Ein Aufruf an das Volk, sich nicht länger von den Herrschenden bevormunden zu lassen.
Das Motiv entstand als Reaktion auf die Präsidentschaft von Donald Trump in den USA, welcher sich bereits im Wahlkampf durch faschistische Parolen gegen Flüchtlinge, Latinos, Muslime und Minderheiten profiliert hat, wobei diese Art von politischem Populismus, wie der Künstler sagt, aktuell leider ein globales gesellschaftliches Problem darstellt.
Die Schlagzeile der im Motiv abgebildeten Zeitung bezieht sich auf einen Witz, den Shepard Fairey immer wieder während des Wahlkampfs von Donald Trump angeführt hat: „Sein Wahlmotto sollte eigentlich lauten: ‚Manifest Density‘ (‚offensichtliche Dummheit‘)“ – eine Parodie auf die durch weiße Siedler im 19. Jahrhundert verkündete Doktrin „Manifest Destiny“ („offensichtliche Bestimmung“) und ihre Bedeutung, dass es Gottes Wille gewesen sei, der sie auf ihre Boote gesandt habe, um die Welt von Ozean zu Ozean zu erobern.
Obwohl sich der Entwurf des Murals in seiner Entstehung auf Donald Trumps Wahlsieg bezog, ist es aber egal, wer im Weißen Haus sitzt, so sagt der Künstler, solange die globale Politik von der unersättlichen Gier von Konzernen und der Finanzindustrie bestimmt wird.
Von: Sebastian Pohl