Veröffentlicht in der TAZ Print-Ausgabe / Kultur am Montag 26.März 2018
Banksy hofft auf die Solidarität seiner Follower für Zehra Dogan. Größere Unterstützung erfährt freilich die Klage eines Sprayers gegen H&M.
New York ist seit einigen Tagen in Aufruhr, nachdem die britische Street-Art Legende Banksy, mit täglich neuen unautorisierten Werken im Stadtbild, die Millionen-Metropole überrascht. Eines seiner Werke sorgt dabei vor allem international für Aufmerksamkeit.
Es ist ein Mural an der „Houston Bowery Wall“ auf der sich bereits 1982 der heute weltbekannte Künstler Keith Haring als Erster verewigt hat. In seinem Werk hat Banksy auf die willkürliche Inhaftierung der kurdischen Künstlerin Zehra Dogan aufmerksam gemacht, die für das Anfertigen einer regierungskritischen Aquarellzeichnung zu gut drei Jahre Gefängnis verurteilt wurde.
Der Aktivist hat das Mural mit Hilfe des aus Washington D.C. stammenden ehemaligen Graffiti Sprayers John Tsombikos aka „Borf“ angefertigt, der in der Vergangenheit selbst für seine Kunst inhaftiert worden war. Banksy der sich bereits früh der Reichweite und Wirkung sozialer Medien bewusst war, nutzt in diesem Zusammenhang auch seinen Instagram Account mit über 2 Millionen Abonnenten, um auf die von ihm empfundene Ungerechtigkeit gegenüber Zehra Dogan aufmerksam zu machen und fordert seine Follower zur Solidarität auf.
Er schreibt unter dem Hastag #freezehradogan: „One year ago Zehra Dogan was jailed for painting this watercolour of a photograph she saw in the newspaper. Protest against this injustice by re-gramming her painting and tagging Turkey’s President Erdogan @rterdogan“.
Die Relevanz der Kunstfreiheit
Mit dieser einfachen digitalen Geste erinnert uns der Künstler daran welche gesellschaftliche Relevanz die Kunstfreiheit hat und wie fragil sie heutiger Zeit zugleich ist. Er weist darauf hin, welche Möglichkeit uns die neuen Medien bieten, global vereint gegen politische Willkür aufzubegehren und zeigt im selben Moment auf, welche gesellschaftliche Verantwortung Persönlichkeiten wie er mit ihrer Bekanntheit und Reichweite tragen.
Zur selben Zeit geht eine andere Aktion auf den Straßen New Yorks wie ein Lauffeuer durch die Medien und die Social Media Kanäle und sorgt zur Verwunderung mancher für deutlich größere Aufmerksamkeit und vor allem Anteilnahme der „Kreativen“.
Das schwedische Modelabel Hennes & Mauritz hat für eines seiner Fotoshootings – höchst wahrscheinlich aus Unwissenheit über den Urheber – ein abstraktes Graffiti Tag des in Los Angeles lebenden Graffiti Writers Jason ‚Revok‘ Williams genutzt. Dabei handelte es sich jedoch nicht um ein klassisches Graffito dessen Gestalter klar zu erkennen war, sondern um acht abstrakte, parallel übereinander angeordnete Linien, die vermutlich selbst die meisten Kunstkenner nicht klar hätten zuordnen können.
Der Graffiti Künstler hat, als er im Nachhinein von der Nutzung seines Werks erfahren hat, dem Unternehmen eine Unterlassungserklärung über seinen Anwalt, zukommen lassen, in welchem er H&M auffordert, das von ihm illegal geschaffene Kunstwerk nicht mehr als Hintergrund für die Kampagne der Firma zu nutzen, da er u.a. befürchtet, dass es für den Betrachter nach einer offiziellen Kooperation aussehen könnte.
Gibt es Urheberrecht an einem vandalistischen Akt?
Das Unternehmen erwidert sein Schreiben mit einer Unterlassungsklage verbunden mit der Frage „ob es überhaupt Urheberrechte an einem vandalistischen Akt geben kann“. Der Anwalt von Revok, kritisiert öffentlich, dass H&M sich auf der einen Seite durch die Kunst seines Mandanten finanziell bereichern würde, auf der anderen Seite nun aber gegen Urheberrechtsansprüche Klage einreiche und Graffiti als Vandalismus bezeichne. Die internationale Graffiti Szene ist seither außer sich, während sich Revok nun unerwartet internationaler Bekanntheit für seine mittlerweile abstrakte Kunst erfreuen kann.
Ein für die Szene bis dahin außergewöhnlicher viraler Shitstorm unter dem Hashtag #boycotthm gegen das Unternehmen breitet sich seitdem tausendfach im Netz aus. Weltweit fliegen Farbbeutel auf H&M Schaufenster und ganze Filialen werden mit überdimensionalen Fuck H&M Tags der durch das Internet mobilisierten Sprayer Community überzogen.
Für viele sind solche Boykottaufrufe gegen multinationale Konzerne und ihre Menschenrechtsverstöße in den von Subunternehmern betriebenen Sweatshops, nichts Neues. Interessant in diesem Fall ist jedoch, dass dieser Shitstorm vor allem von Menschen ausgeht, die selbst u.a. Nike Turnschuhe tragen, vermutlich regelmäßig bei H&M und Co. einkaufen und denen die von zahlreichen NGO’s angeprangerten Probleme in der Regel eher gleichgültig sind.
Viel mehr werden Kommentare wie „Pay REVOK“ öffentlich verbreitet und das vor allem von Künstlern und Bloggern die, wenn man sich ihre künstlerische Ausrichtung bzw. ihr Portfolio genauer ansieht, mit Sicherheit gerne ein Graffiti als Hintergrund für eine solche Kampagne initiert bzw. gesprüht hätten – wenn man sie danach gefragt hätte.
Die Konträre Intention von Graffiti Szene und Street-Art Bewegung
Hier wird einmal wieder, auch wenn es einige nicht wahrhaben wollen, die konträre Intention zwischen der opportunistischen Graffiti Szene und der von sozialpolitischen Themen angetriebenen Street-Art Bewegung auf ernüchternde Weise deutlich.
Ganz klar ist das künstlerische Urheberrecht im 21. Jahrhundert, auch im öffentlichen Raum ein wichtiges Thema das vom Gesetzgeber vor Missbrauch durch Dritte geschützt werden muss. Zumal sowohl bunte Graffito als auch kritische Street-Art, egal ob legal gefertigt oder unautorisiert erschaffen, leider zunehmend durch die Werbeindustrie als auch in sogenannten Street-Art Broschüren vereinnahmt werden und das nachweislich, ohne dass die Kunst oder Künstler daraus einen nennenswerten, geschweige denn nachhaltigen Mehrwert ziehen können.
Während Auftraggeber für das Nutzen einer künstlerischen Leistung den Künstlern gegenüber der Künstlersozialkasse zu einer Abgabe verpflichtet sind, die der Absicherung der Kunstschaffenden dient, dürfen im öffentlichen Raum gefertigte Kunstwerke bislang ohne jegliche Einschränkung genutzt werden – solange der Urheber nicht explizit dagegen klagt.
Der Modekonzern H&M hat die Klage mittlerweile auf Grund des immensen öffentlichen Interesses an dem Vorfall offiziell zurückgezogen. Und während sich die üblichen Idealisten wie so oft als Einzelkämpfer im Interesse der Menschheit öffentlich gegen politische Willkür auflehnen, verschwenden Illustratoren ihr kreatives Potential dafür, animierte Boykott H&M Grafiken für Instagram zu kreieren, während einige Sprayer bereits „Fuck H&M“ T-Shirts im Graffiti Style gestaltet haben, um diese, gepusht vom Internet Hype „gegen den Kommerz“, an ihre Community zu verkaufen.
Von: Sebastian Pohl