Verfasst für das Feuilleton der TAZ Print-Ausgabe
Es ist so weit: Zum ersten Mal zeigt ein renommiertes deutsches Museum ein Originalwerk der noch jungen internationalen Street Art-Bewegung, welches im Anschluss als permanente Leihgabe in die Stuttgarter Staatsgalerie wandert.
Vor über zwei Jahrzehnten entdeckte der aus Bristol stammende Künstler BANKSY, den öffentlichen Raum als wichtigen Ort für einen demokratischen, gesellschafts- übergreifenden Dialog. Sein in diesem Zusammenhang populärstes Werkzeug waren seither im D.I.Y. Verfahren geschaffene Schablonen, welche ihn weltberühmt machten.
Doch das eigentliche Medium, das ihn zum wahrscheinlich bekanntesten Künstler der Gegenwart gemacht hat, war ein Phänomen, dessen gesellschaftliches Potential vielen erst in den vergangen Jahren richtig klar wurde – das World Wide Web.
Bereits Anfang der 2000er Jahre nutzte der Mitbegründer der Street Art-Bewegung das Videoportal Youtube, um außergewöhnliche Kunst-Interventionen und Stunts weltweit mit einer breiten Öffentlichkeit zu teilen. So beispielsweise im Jahr 2003, als er das Anbringen mehrer von ihm geschaffener subversiver Öl-Gemälde u.a. in der Tate Britain dokumentierte, oder das Making Of eines entlarvenden Remakes des im Jahr 2006 erschienen Debüt-Albums der singenden US-amerikanischen Hotelerbin Paris Hilton. Damals kaufte er eine Kopie des Erstlingswerks auf, collagierte das Cover und Booklet, brannte einen eigenen Remix auf 500 CD’s und bereicherte durch „reverse shop lifting“ insgesamt 48 Plattenläden von London bis Glasgow mit dem von ihm neu interpretierten Debütalbum.
Sein Ziel? Einer Gesellschaft, die über das Privileg der Kunstfreiheit sowie sämtliche technischen Tools der Zukunft verfügt, auf ungewöhnliche und radikale Weise einen Spiegel vorzuhalten – und zwar jenseits des White-Cubes sowie fernab der Regeln und Interessen des Kunstmarkts. Doch wie so oft bei subversiven Bewegungen ist es die Zielgruppe der Kritik, die – mit Unterstützung vermeintlicher „Experten“ – die eigentliche Aussage und Intention des Künstlers verdreht und sie als bloßen persönlichen Mehrwert (miss)interpretiert.
Sechzehn Jahre, nachdem der gebürtige Berliner Kurator Adrian Nabi den zu jenem Zeitpunkt unbekannten Graffiti-Aktivisten BANKSY neben Künstlern wie Shepard Fairey und FAILE für Deutschlands erstes autonomes Street Art-Projekt unter dem Titel „Backjumps – The Live Issue“ nach Berlin eingeladen hatte, wagt es nun auch das erste Museum in Deutschland, ein Werk der ursprünglichen Street Art-Bewegung öffentlich zu präsentieren. Was im ersten Moment progressiv anmutet, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen jedoch als berechnende Marketing-Aktion.
So präsentiert das Museum Frieder Burda weltweit erstmalig das vor einigen Monaten durch zahlreiche Medien verbreitete Werk „Love is in the Bin“ – welches von BANKSY gezielt zum Abschluss einer Auktion eigentlich komplett geschreddert werden sollte.
Die Arbeit zeigt ein Motiv, das der Künstler erstmals 2002 auf der Waterloo Bridge in London umgesetzt und vor über einem Jahrzehnt als Siebdruck Edition auf Papier in einer signierten Auflage von 150 Exemplaren via Pictures on Walls zum Preis von 150,- GBP veräußert hatte: „The tender little fella has an almost poignant message. Banksy was never his mother’s favourite – and he was an only child“ – so kommentierte es der Künstler damals.
Doch der Kunstmarkt machte aus dem gefälligen Motiv schließlich eine Wohnzimmer taugliche Ikone. Dies erinnert sehr an Keith Haring, einem ähnlich kritisch-reflektierten Künstler, der in den 1980er Jahren in seinen Arbeiten Themen wie Kapitalismuskritik, nukleare Wiederaufrüstung und Umweltzerstörung zur Diskussion brachte und auch heute noch viel zu sagen hätte. Dennoch ist vielen nur noch sein Motiv des roten Herzes inmitten zweier Strichfiguren bekannt, was ihn unberechtigterweise zur Ikone des Massengeschmacks herabwürdigte.
Bereits wenige Minuten nach dem „Stunt“ spekulierten erneut Kunst-Kritiker und „Experten“ darüber, ob der Künstler mit dieser Aktion nicht vor allem eines im Sinn hatte – nämlich die Intention, den Wert seiner Werke in die Höhe zu treiben.
Denn das sind ja schließlich auch die bekannten Mechanismen und Methoden, die dazu führen, dass wir uns in erster Linie um den vermeintlichen Wert und somit Preis eines Werks ohne jegliche gesellschaftliche Relevanz beschäftigen, anstatt uns dem eigentlichen Mehrwert von Kunst – dem Innehalten und Reflektieren zu widmen.
Wer Banksys Werdegang verfolgt, weiß, dass der Kunstaktivist in der Regel nichts dem Zufall überlässt… nur ist sein Ziel ein anderes als der persönliche monetäre Mehrwert, was man spätestens auf seinem im Oktober 2013 ursprünglich für das von ihm initiierte Projekt „Better Out Than In“ erstellten Instagram Account in Zahlen ermitteln konnte.
Aus den bis Oktober 2018 generierten 2,5 Millionen Followern wurden innerhalb weniger Wochen 5,5 Millionen! Nimmt man die etabliertesten bildenden Künstler der Gegenwart zusammen kommt man auf einen ähnlichen Wert an potentieller Aufmerksamkeit in Zeiten der Social Media Epidemie.
Für Banksy ist dieses Potential aber vor allem eins – ein weiteres Werkzeug dafür, denen, die ihre Umwelt alltäglich durch die permanente Bespassung via Smartphone ausblenden, nun auch über das 5,8 Zoll Display dieselbe Intention und damit auch Themen zu präsentieren, die ihn bereits Ende der 1990er Jahre angetrieben haben und Motive und Statements zu realisieren, in denen es um mehr als nur die eigene Person geht.
Das für viele bis dahin unbekannte Museum Frieder Burda im biederen Kurort Baden-Baden profitiert durch den von den Medien angetriebenen Hype wie kaum ein anderes Museum zuvor ohne größeres Zutun von der öffentlichen Aufmerksamkeit.
Der Direktor des Museums verwies in diesem Zusammenhang auch auf eine erfolgreiche Kooperation mit dem französischen Urban Art Künstler JR im Jahr 2014 – dessen Werke der letzten Jahre sich bei genauerem Hinsehen – ähnlich wie das Mädchen mit dem Herzballon – vor allem durch eines auszeichnen: allgemeine Gefälligkeit sowie das Befolgen der Regeln des Kunstmarkts.
Es wäre deshalb zu wünschen, dass sich sowohl private als vor allem auch öffentliche Institutionen wieder verstärkt ihrem Bildungsauftrag widmen und in diesem Zusammenhang progressiven Werken, die zum tiefgründigen gesellschaftlichen Diskurs einladen, Raum bieten, anstatt vor allem gefällige Kunst zu präsentieren und damit einen Standpunkt zu fördern, der vor allem der niederschwelligen Unterhaltung und den wirtschaftlichen Interessen des freien Markts unterliegt.
Von: Sebastian Pohl